Magische Zeichen
Chinesische Schriftzeichen sehen immer sehr verschnörkelt und komplex aus. Und wenn diese dann auch noch in der künstlerischen Art der Kalligraphie gemalt werden, dann haben sie schon etwas magisches an sich. Die Leute, die das perfekt beherrschen sind wahre Meister auf ihrem Gebiet. Und zu solch einem Meister sind wir eingeladen.
Meister Guo erwartet uns bei sich zu Hause und möchte uns gern sein Haus und seine Kunst zeigen. Und irgendwie scheint er auch ziemlich stolz darauf zu sein, das ein Tai Chi Schüler aus dem fernen Deutschland bei ihm zu Gast sein wird. Es ist sicherlich keine Frage, dass auch er Schüler bei Meister Yang ist und von ihm, genau wie ich, in den Geheimnissen des Tai Chi unterrichtet wird. Auf seinem Gebiet, dem Gebiet der Kalligraphie der chinesischen Schriftzeichen, ist aber er der Meister. Das wird er uns später noch eindrucksvoll beweisen.
Wir nehmen den gleichen Weg raus aus Shijiazhuang, wie ein paar Tage vorher zum Aussichtspunkt. Das Wetter ist heute nicht ganz so klar wie an den Tagen vorher. Aber das macht nichts, wir haben ja heute ein anderes Ziel. Und so verlassen wir den Highway auch nach kurzer Zeit und rumpeln zunächst über eine Straße, die eher wie eine Zufahrt zu einer Baustelle wirkt. Ein Schlagbaum mit Kontrollposten versperrt uns den Weg. Wir erklären im kurz wohin wir wollen – also eher Meister Yang als ich – und schon wird der Schlagbaum geöffnet und wir können unsere Fahrt fortsetzen. Offenbar darf hier aber nicht jeder überall hin.
Wir dürfen, und kurz darauf erreichen wir das Wohngebiet von Herrn Guo. Kleine Villenartige Häuser prägen das Bild. Alles ist sauber und sehr aufgeräumt. Die Häuschen haben kleine Vorgärten und auch hinter dem Haus ist noch ein bisschen Platz um etwas Gemüse anzubauen. Die Gegend ist so ganz anders als das, was ich bisher von den Städten und kleineren Orten kenne.
Herr Guo bittet uns herein, stellt uns kurz seine Frau vor und bietet uns einen Platz in einer kleinen Sitzgruppe an. Auf dem Tisch warten Obst, Nüsse und ein paar Süßigkeiten auf uns. Alles ist für die Gäste vorbereitet. Tee wird wie immer frisch zubereitet. Das Haus ist mit viel Liebe, sehr traditionell eingerichtet. Herr Guo will natürlich viel über mich wissen: woher ich genau komme – er hat extra einen Atlas mit einer Karte von Deutschland bereit gelegt, wo ich arbeite, was mein Job ist und viel, viel mehr. Meister Yang hilft wie immer beim übersetzen.
An den Wänden fallen uns zwei große Kalligraphien und ein Bild in dessen Mitte auf. Wie sollte es anders sein: die Kalligraphien stammen von Meister Guo, das Bild haben Freunde von ihm gemalt. Und es sind nicht die einzigen seiner Kunstwerke, welche dieses Haus schmücken.
Mister Guo bittet uns nun zu einem kleinen Rundgang durch sein Haus. In den oberen Etagen befinden sich, neben Schlaf- und Gästezimmern, auch die Arbeitsräume. Viel Platz um seiner Leidenschaft nachzugehen hat er hier. Zeichentische, Papiere, Pinsel und viel Handwerkszeug brauchen auch einfach ihren Platz. In einem großen Bücherregal finden sich wahre Schätze. Dokumentationen und Bildmaterial alter Aufzeichnungen, die bis zu 5000 Jahre vor Christus zurück reichen. Die Abbildungen gleichen eher alten Höhlenzeichnungen. Herr Guo versucht diese in aktuelle Schriftzeichen zu übersetzen. Noch längst sind nicht alle Bedeutungen und Rätsel der alten Schriftzeichen gelöst.
Herr Guo gibt uns noch eine Kostprobe seines Könnens, bevor seine Frau zu Tisch bittet. Sie hat in der Zwischenzeit ein köstliches Mittagessen für uns zubereitet. Platz nehmen wir an einem runden Drehtisch, wie wir ihn vom Chinesen um die Ecke kennen. Auch wenn nur fünf Personen um den Tisch sitzen, so soll doch jeder bequem an jedes Gericht gelangen. Und immer wenn man denkt es ist genug, stellt Frau Guo ein nächstes Gericht auf den Tisch. Und „natürlich“ gibt es zu Ehren des deutschen Gastes ein deutsches Bier zu trinken. Ein kleiner Schnaps nach dem Essen darf natürlich nicht fehlen. Zum Wohl, oder Gan Bei, wie es in China heißt. Und vielen Dank für diese herzliche Einladung.