Guangfu (wieder)sehen
Guangfu wiederzusehen war einer meiner großen Wünsche auf dieser Reise. Warum? Nun, zum einen ist Guangfu die Geburtsstadt des Begründers des Yang-Stils im Tai Chi Chuan, Meister Yang LuChan. Und zum anderen war ich bereits einmal hier. Guangfu ist die Stadt, in der ich meinen ersten Aufenthalt in China hatte. 2015 war das – lange ist es inzwischen her…
Ich bin gespannt, was sich in den letzten Jahren alles so verändert und wie sich die Stadt entwickelt hat.
Meister Yang JianChao, mein Gastgeber, Lehrer und fester Begleiter der letzten Monate, ist übrigens auch hier geboren. Genau so wie sein Vater Yang Zhen He. Traditionen und (Groß)meisterliches Wissen werden hier also direkt bewahrt und weiter gegeben.
Als wir in der kleinen, historischen Stadt ankommen führt uns unser erster Weg natürlich zur Tai Chi Schule von Großmeister Yang Zhen He. Die habe ich zum letzten Mal 2019 gesehen. Und mich beeindruckt die Größe auch dieses Mal. Alles ist im historischen Stil der Stadt erbaut. Man erkennt die Verbundenheit zu Historie und Tradition auf den ersten Blick.
Wirklich verändert aber hat sich die historische Innenstadt. Viele Busse bringen noch vielmehr Touristen in die Stadt. Wie Meister Yang sagt, aber leider oft nur Tagestouristen. An jeder Ecke gibt es jetzt kleine „Fressbuden“ und „-stände“. Viele Läden mit Andenken präsentieren ihre mehr oder weniger sinnvollen Dinge. Oder wie eine Tai Chi Freunden auf meiner letzten Chinareise sagte: das sind die so genannten „Stehrumchen“, weil die Sachen am Ende immer einfach nur noch rumstehen.
Ich entdecke viele Frauen in historischen chinesischen Gewändern, die einfach so durch die Straßen und Gassen wandeln. Coole Idee, ist mein erster Gedanke. Die beschäftigen hier eine paar Damen mit diesem Job um den Touristen das Gefühl zu geben, in einer längst vergangenen Zeit angekommen zu sein. Und dazu werden die historischen Kostüme auch noch in jedem zweiten Laden verkauft. Aber weit gefehlt. Die Touristen kommen in die Stadt, leihen sich die traditionellen Trachten für einen Tag aus, werden dazu noch professionell geschminkt und laufen dann durch die Stadt. Das Gefühl in einer anderen Zeit angekommen zu sein wird dadurch noch viel stärker. Fotos, als Erinnerungsstücke, können dieses Gefühl konservieren und für später aufbewahren. Selfiesticks sind hier aber so gut wie out. Die Bilder werden jetzt wieder von anderen Menschen gemacht. Egal ob Profi oder semiprofessionell, der Blick wird dadurch wieder ein Anderer.
Ich bin ebenfalls dabei Bilder von der einen oder anderen Situation oder Ansicht in der Stadt zu machen. Meister Yang tifft alte Bekannte auf der Straße und wir kommen wie immer kurz ins Gespräch. Woher ich komme ist dabei die wohl am häufigsten gestellt Frage. Plötzlich drängt Meister Yang mich in eines der vielen Trachtengeschäfte. Schade meint er. Traditionelle Tai Chi Kleidung haben die leider nicht. Ich glaube wir hätten sie anprobiert. Aber der Laden ist natürlich nicht zufällig ausgewählt. Er gehört einem seiner besten Freunde und dessen Frau. Kleine Stühlchen werden schnell vor dem Laden aufgestellt und wir werden eingeladen Platz zu nehmen. Die Frau seines besten Freundes verkauft und verleiht nicht nur die historischen Kleider, sie fertigt auch noch kleine Blumen oder Anstecker in Handarbeit. Und so kommt es, dass immer wieder Leute stehen bleiben und nach mir schauen. Manche wollen gern ein Foto mit mir machen. Das können sie natürlich gerne machen. Ich lade sie aber mit meinen Handbewegungen und auf Englisch ein, etwas von den handgearbeiteten Dingen zu kaufen. Meister Yang lacht herzlich und übersetzt. Tatsächlich gelingt es mir zwei- oder dreimal, dass die Leute noch ein kleines Andenken mitnehmen. Wenn das kein Verkaufstalent ist…
Ein Besuch in Guangfu wäre natürlich nichts ohne den Besuch des Tempels der Stadt. Bei unserem Rundgang in der Anlage werden dabei viele Erinnerungen an meine erste Zeit hier in China wach. Erinnerungen an all die Orte an denen wir damals geübt und trainiert haben, an die Zeit die wir hier verbracht haben. Und natürlich gehört es auch dazu, dass wir etwas von unserer Kunst präsentieren. Einmal ein Stück der kurzen Form zeigen, und schon bin ich bzw. wir wieder das Fotomotiv. Und einmal entdeckt, wollen natürlich auch die Frauen in ihren historischen Kleidern ein Bild mit mir machen. Warum nicht – ich mache ja auch welche von ihnen.
Selbstverständlich gehört für Meister Yang bei einem Besuch in Guangfu auch der Besuch seines Elternhauses dazu. Und so darf ich den Ort seiner Kindheit kennen lernen, gehe mit ihm und sage seiner Mutter „Hallo2. Sein Vater ist zur Zeit selber in Deutschland um mit seinen Schülern zu trainieren. Auch meine Dresdner Tai Chi Freunde warten schon auf ihn. Meister Yangs Mutter freut sich sehr uns zu sehen und so verbringen wir auch hier noch einige Zeit, essen etwas miteinander und wieder werden Fragen nach mir beantwortet und Neuigkeiten ausgetauscht.
Und später am Abend treffen wir noch ein paar Freunde von Meister Yang. Sie haben uns eingeladen, wie wir in Deutschland sagen würden: zum grillen. Es ist inzwischen dunkel geworden und wir sind auf den kleinen Straßen rund um Guangfu unterwegs als Meister Yang das Auto pötzlich stoppt. Am Straßenrand stehen schon ein paar andere Autos. Menschen sitzen dazwischen. „Wir sind da“, sagt Meister Yang und stellt das Auto tatsächlich zu all den anderen Autos dazu. Und wirklich. Wir werden herzlich begrüßt und die Stimmung ist völlig ausgelassen. Wieder die Fragen nach dem woher kommst Du, was machst Du hier, wie lange bleibst Du usw. Und so verbringen wir den Abend beim grillen am Straßenrand. „Ganbei“ wie die Chinesen sagen: Prost!