Es wird Ernst
Eigentlich hätte ich diesen Blog auch „36 Grad und es wird noch heißer“ nennen können. Denn für heute ist einer der heißesten Tage angesagt. 36 Grad sollen es werden. Ausgerechnet heute! Denn heute sollen wir unsere Kunst des Tai Chi präsentieren. Die Verkehrspolizei feiert ein Jubiläum. Irgend ein Gesetz oder eine Regel zum bewussten Verhalten im Straßenverkehr ist 20 Jahre alt geworden und soll nun gebührend gefeiert werden. 150 Gäste sind geladen und mehrere Kamerateams und Fotografen werden das Event in die chinesische Medienlandschaft übertragen.
Wir treffen uns 13:00 Uhr am Eventort und sind damit vier Stunden früher da, als der eigentliche Auftritt stattfinden soll. Klar, Kamera- und Stellprobe fordern ihre Zeit. Einmal das gesamte Programm durchlaufen, als Generalprobe sozusagen, auch.
Das Erste, was uns beim eintreffen am Veranstalltungsort auffällt, ist, alles liegt direkt in der Sonne. Die Bühne steht direkt in der Sonne, die Sitzplätze der Gäste auch. Die Techniker für Ton, Licht und Kameratechnik nutzen jedes Stück Schatten für ihre Technik und das technische Management. Wir alle schauen etwas unsicher auf die Bühne und denken an die Tagestemperaturen. Und das nicht nur, weil die Chinesen eigentlich jeden intensiven Kontakt mit der Sonne vermeiden.
Aber wir sind gut vorbereitet. Alle tragen die Tai Chi typische Kleidung, eine weite schwarze Hose und eine weiße, langärmlige Tai Chi Jacke. Das schützt uns schon mal vor den Sonnenstrahlen. Vor den intensiven Schwitzen aber nicht… Ich hatte meinen Tai Chi Anzug für solche Anlässe extra wieder aus Deutschland nach China mitgenommen. Den hatte ich mir bei meinem ersten Aufenthalt in China anfertigen lassen. Handmade wie man so schön sagt. Und der hätte eigentlich auch farblich gepasst. Aber wie immer steckt der Teufel im Detail. Das Weiß meiner Jacke passt nicht zum Weiß der Jacken der anderen Teilnehmer.
Aber das ist nicht wirklich ein Problem. Bei den vielen Schülern die Meister Yang hier hat, ist auch einer dabei, der etwa die gleiche Statur hat wie ich. Und der leiht mir seinen Anzug einfach. Schwarze Tai Chi Schuhe brauche ich noch. Natürlich ist auch das kein Problem. Ich bekomme einfach ein paar Neue aus dem Lager. Sie sind zwar etwas eng, aber für die paar Stunden lässt es sich aushalten. Wer weiß, vielleicht hätte ich sie mit nach Hause genommen, wenn sie richtig gepasst hätten.
Es dauert auch nicht lange und wir sind zur ersten Stell- und Ablaufprobe aufgefordert. Also einmal alles proben, den Gang zur und auf die Bühne, die Aufstellung auf der Bühne, den ganzen Ablauf. Aber wir zeigen nicht einfach nur unsere Kunst. Nein, sie ist multimedial eingebettet. Im Bühnenhintergrund gibt es eine riesige LED-Leinwand auf der passende Bilder präsentiert werden. Vor der Gruppe steht Meister Yang und zeigt nicht nur die Form, sondern erklärt auch was das wesentliche am Tai Chi ist, wie Tai Chi charakterisiert werden kann. Eine Polizistin steht ebenfalls vor uns und projiziert die Regeln des Tai Chi auf den Straßenverkehr: ruhiges und entspanntes Fahren, keine hecktischen und unnötigen Manöver, seine Umwelt bewusst wahrnehmen um entsprechend reagieren zu können usw. Und all diese Erklärungen sind dann auch noch mit entsprechender Tai Chi Musik unterlegt. Zum Glück ist das dann später alles Playback. Aber auch das muss ja alles geprobt werden. Und mir wird jetzt auch klar worin der Zusammenhang zwischen Tai Chi und diesem Verkehrgesetz bestehen sollte.
Die Proben sind gut gelaufen und wir haben Zeit bis zum Auftritt. Unter ein paar Bäumen haben auch wir ein schattiges Plätzchen gefunden. Von ein paar Fressbuden im Gelände „leihen“ wir uns ein paar Stühle und einen Tisch. Als die Besitzer später kommen und die Büdchen öffen, reicht ein kurzes „hallo, wir haben uns ein paar Stühle von euch genommen“. Ein kurzes „jaja, ist alles ok“ als Antwort und schon ist alles geklärt.
Und was macht man in China um die Zeit zu überbrücken? Das gleiche wie bei uns auch. Miteinander reden, auf dem Handy daddeln oder Karten spielen. Jemand hat Wasser für alle mitgebracht, ein anderer Weintrauben und Kirschen und wieder jemand anderes ein paar Kekse.
Und der Auftritt? Der ist gut gelaufen. Zum Glück hatte auch ein kleines Bäumchen erbarmen mit uns und spendete ein wenig Schatten auf der Bühne. Ich war im Vorfeld ein bisschen unsicher mit den ganzen Kamerateams, so zwischen den ganzen Stamm-Schülern von Meister Yang, vor den ganzen Gästen. Aber alles war gut. Bis auf einen kleinen Wackler bei einem der Kicks (und alle, die Tai Chi üben wissen, in welcher Geschwindigkeit Kicks in der Form ausgeführt werden). Meister Yang meinte nur: „Kein Problem. Wir hatten Spaß und haben unsere Kunst erfolgreich präsentiert. Das ist die Hauptsache“. Er fragte mich, „was hältst davon, wenn wir jetzt indisch essen gehen?“. Cool! Wenn das nicht international ist: aus Deutschland nach China fliegen, um beim Inder essen zu gehen.