Am westlichsten Punkt
Ich kann es selber kaum glauben. Jetzt stehe ich tatsächlich hier. Links von mir das Qilin-Gebirge, rechts von mir das Schwarze Gebirge. Und mittendrin das Jiayuguan Fort. Das war, zur Zeit der Ming Dynastie, der westlichste Punkt der Großen Mauer. Grenzlinie und Schutzwall gegen die Mongolen zugleich. Jeder, der von Ost nach West oder von West nach Ost wollte, musste dieses Fort passieren. Strategisch ist der Punkt klever gewählt. Nur etwa 100 km liegen zwischen den beiden Gebirgen. Diese Entfernung ließ sich, mit den etwa 2000 Soldaten, vom Fort aus sicher gut kontrollieren.
Obwohl ich mich seit Xi’an auf der alten Seidenstraße befinde, wird mir erst hier so richtig bewusst, was diese Verbindung in der Vergangenheit bedeutet haben muss. Alle mussten hier vorbei: Marko Polo, der nach Asien reiste, genauso wie der Mönch, der in Indien nach den wahren Schriften des Buddhismus suchte. Und nun ich. Und alles an diesem Fort ist noch originalgetreu erhalten. Na gut – ein paar kleine Sachen sind ausgebessert worden. So zum Beispiel am westlichen Tor. Wenn man das durchschritten hat, hat man damals China tatsächlich auf dem Landweg verlassen und stand in einem fremden Land. Für mich ist das heute irgendwie ein komisches Gefühl. Auch das Lager des Kommandanten hat man nachträglich wieder neu errichtet. Aber das ist heute nur noch schmückendes Beiwerk.
Die Wüste Gobi zeigt hier schon ziemlich deutlich ihre Ausläufer. Sandig, grasige Landschaft. Wobei das Gras hier manchmal schon eher wie eine Art Wolfsmilchgewächs aussieht. An die Wüste Gobi kann ich mich noch aus meiner Schulzeit erinnern, damals haben wir davon mal gehört. Aber das war irgendwie weit weg. Und das ich wirklich mal hier stehen würde war damals unvorstellbar.
Jiayuguan lässt sich übrigens mit Stadt oder Ort im schönen Tal übersetzen. Tja steht hier für schön und yu für Tal. Leider ist von diesem schönen Tal nicht viel übrig geblieben, denn hier befindet sich die größte Stahlindustrie im Nordwesten Chinas. Und die Auswirkungen sind deutlich spürbar. Während die Luft in den Morgenstunden noch ziemlich klar ist, wird es im im Laufe das Tages zunehmend diesiger. Auch die Stadt ist erst 60 Jahre alt. Also ein Konstrukt für den Stahlbau. Irgendwie erinnert mich das an Eisenhüttenstadt im Osten Deutschlands.